Die Wirklichkeit eines Stadtquartiers wird erst durch die StraĂe erfahrbar. Hier erlebt man das Nebenher der Unterschiede. Sie ist Ort der StreifzĂŒge und Begegnungen. Eine BĂŒhne des Augenblicks. Auf der StraĂe ist Jeder Schauspieler und Zuschauer zugleich.
Die Anwohner einer kleinen, aber legendĂ€ren StraĂe in Linden haben in dem Filmprojekt âKolorit KochstraĂeâ die Möglichkeit der BĂŒhne ergriffen. Sie erzĂ€hlen Geschichten aus ihrem Leben. Gemeinsam bilden sie so die lebendige Geschichte, die Wirklichkeit ihres Stadtviertels ab.
âHier wurden mal die Scheiben eingeschmissen. Das finde ich nicht in Ordnung, aber er ist halt nicht so beliebt bei den Leutenâ, Martina (50+) sitzt gegenĂŒber einer Biomarkt-Kette, verkauft die StraĂenzeitung âAsphaltâ, beobachtet dabei AlltĂ€gliches und die VerĂ€nderungen.
âEberhard was war denn gestern wieder los? Drei Mal war die Polizei da ... â. âNein, vier Mal!â, Eberhard (70+), heute der âSheriff von Lindenâ genannt, rĂ€umt tĂ€glich den MĂŒll von der StraĂe und erzĂ€hlt von seinen wilden Eskapaden der Vergangenheit.
âWir sind hier WeltbĂŒrger geworden!â meint Muhittin (60+) und erzĂ€hlt von seiner Flucht aus Kurdistan unter einem haushochgewachsenen Baum, den er bei seiner Ankunft pflanzte.
âMein Name Cihan bedeutet das Ganze, die Gesamtheitâ erlĂ€utert der junge Alevit (20+) vor einem Graffiti-Tag aus seiner Kindheit und erzĂ€hlt auf einem Streifzug durch das Quartier vom Leben und Aufwachsen zwischen den unterschiedlichen Kulturen.
âEiner der BrĂŒder Koch war dann auch Senatorâ. Das Ehepaar Krais (65+) erzĂ€hlt von ihren bĂŒrgerlichen Vorfahren und den historischen Namensgebern der StraĂe in der einst proletarischen Stadt.
âLinden hat ja innerhalb von 2 Jahrhunderten eine Entwicklung von 6.000 zu 120.000 Einwohnern durchgemacht. FrĂŒher endete ja das Hannoveraner Bewusstsein an der Ihme und den königlichen GĂ€rten. Heute ist Linden in Hannover eingemeindet und hat circa 40.000 Einwohner.â In schwindelerregender Höhe eines Schornsteins des Heizkraftwerks Linden beschreibt der Gymnasiallehrer Haimo (50+) die Deindustrialisierung des Stadtteils.
âHier war eine Kneipe. Die wurde ausgebombt.â Marga (80+) erinnert auf einem Gang mit dem Rolator an ihre Kindheit in der StraĂe. Sie hat das Verschwinden der Fabriken und der vielen kleinen LĂ€den noch selbst erlebt. âAch, dabei fĂ€llt einem so vieles ein. Es war eine ganz andere Zeit. Man hatte nicht viel. Die kleinen LĂ€den haben einem immer erlaubt anzuschreiben bis die LohntĂŒte kam. Ist Ihnen das ein Begriff?â
Linden ist stolz auf seine proletarisch geprĂ€gte Geschichte. Es gibt bereits zahlreiche Stadtteildokumentationen, die die Themen Arbeiterbewegung, Deindustrialisierung, Stadtsanierung und Migration aufgreifen. In dem Dokumentarfilm âKolorit KochstraĂeâ erzĂ€hlen ausschlieĂlich die Anwohner die Geschichte des Bezirks durch ihre Persönlichkeiten und ihre vielfĂ€ltigen, subjektiven Wahrnehmungen. In der Malerei bezeichnet man mit âKoloritâ den farblichen Gesamteindruck eines Bildes. In Wort und Bild ist âKolorit KochstraĂeâ eine Einladung, die Geschichte eines Stadtteils allein aus der Vielfalt der verschiedenen, subjektiven Wahrnehmungen und unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der Anwohner zu erfahren.