Berliner Zeitung
Zu Beginn des Films dreht sich die Kamera einmal um sich selbst. Man sieht Gestrüpp, Gerümpel, eine Fabrikruine - Ödland, durch das der Wind pfeift. Was man eigentlich sieht ist: Nichts, Brachland, eine Leerstelle inmitten Berlins. Ein physisches Zeichen des Nicht-Mehr und Noch-Nicht. Von diesen Orten wird man in den nächsten 80 Minuten viele sehen. Verbarrikadierte Geschäfte in Manchester und Liverpool, gespenstisch entleerte Stadtareale in Dessau, Wolfen, Halle Neustadt, aber auch verlassene Wohnblöcke in Bremen und Salzgitter.
Die beiden Filmemacher Daniel Kunle und Holger Lauinger zeigen in "Nicht-Mehr | Noch-Nicht" die erschreckende Realität schrumpfender Städte, dem Negativ aller urbanistischen Ideale von funktionaler Dichte und Wachstum. Zwischen die Brachen geschnittene Interviews mit Architekten und Stadtplanern verstärken dabei den Eindruck, dass für diesen Strukturwandel kaum planerische Konzepte existieren.
Der Film belässt es aber nicht bei einer resignativen Analyse, und das macht ihn interessanter als die meisten Beiträge zum Phänomen "shrinking cities". Kunle und Lauinger haben in Deutschland und den Niederlanden nach Beispielen gesucht, welche Möglichkeiten Brachen als Ausgangspunkt einer kulturellen Erneuerung unserer Städte bieten. Sie sind dabei auf Projekte kurzfristiger und dauerhafter Besetzung und Umnutzung gestoßen: temporäre Landnahme in Dietzenbach, Werftbesetzung durch Künstler in Amsterdam, Ferropolis, Hotel Neustadt in Halle. Beispiele für einen experimentellen Urbanismus und für Menschen, die Freiräume unkonventionell füllen - die, wie es der Architekturkritiker Wolgang Kil an einer Stelle des Films sagt, "den Luxus der Leere" nutzen.
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Filmdienst
Der Film enthält in der aktuellen Recherche der gegenwärtigen Situation brisanten Zündstoff, der bislang von Politik noch Verwaltung zur Kenntnis genommen wurde. Aufnahmen entleerter Stadtareale in Ost- und Westdeutschland wie in Dessau, Wolfen, Leipzig, Halle Neustadt, Salzgitter und Bremen sind ein aufschlussreiches Zeitdokument voller eindringlicher Motive mit fast apokalyptischen Dimensionen. Erst über die unergründliche Macht der Bilder bekommt das statistisch anmutende Phänomen eine überzeugende Form. Verbarrikadierte Häuser und Geschäfte, stillgelegte Bahnhöfe, abgesperrte Stadtareale, halb abgerissene Investitionsruinen. Dass das Gespenst der Leere global umgeht, zeigen Beispiele aus Manchester, Liverpool und Amsterdam. Interviews mit Städteplanern und Architekturtheoretikern verdeutlichen die Unbestimmtheit des Problems, zu dessen Lösung noch keinerlei Erfahrungen vorliegen. Architektur und Städteplanung stecken offenkundig in einer Sackgasse, da Wachstumsphasen in Schrumpfungsprozesse umschlagen.
Durch Information und Bildkraft gelingt es der Dokumentation, das Bewusstsein für diese dramatische "Epochenwende" zu schärfen und dennoch einen Hoffnungsschimmer am Horizont aufzuzeigen.
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Potsdamer Neueste Nachrichten
Seit zweieinhalb Jahren reist der Regisseur Holger Lauinger ununterbrochen mit seinem Film „Nicht-Mehr | Noch-Nicht“ durch das Land. Sein Film rüttelt die Menschen auf. So auch das Publikum im Filmmuseum, in dem der Film im Rahmen der von Kulturland Brandenburg angeregten und geförderten Reihe „Architektur im Film“ gezeigt wurde. (...)
Der Dokumentarfilm zeichnet ein Schreckensszenario – und entlässt den Betrachter am Ende doch noch mit aufmunternden Visionen.
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Lausitzer Rundschau
Die Brache auch als Möglichkeit begreifen
Film regte in der Kulturfabrik Disput ĂĽber Stadtplanung an
Die Bilder von endlos langen Häuserzeilen mit toten, leeren Fenstern, in denen keine Menschenseele mehr lebt, schocken hier in Hoyerswerda schon längst niemanden mehr. Doch die beiden jungen Filmemacher Daniel Kunle und Holger Lauinger, die diese Bilder eben nicht in der Zuse-Stadt, sondern in Dessau, Halle, Leipzig, Wittenberge und auch in Bremen, Manchester und Liverpool aufgenommen haben, wollten mit ihrem Film «Nicht-Mehr / Noch-Nicht» mehr als nur die erschreckende Realität zeigen – sie wollten eine Diskussion anregen über die Chancen, die die neue «Leere» in den Städten mit sich bringen kann. Ein Thema, das auch in Hoyerswerda von Brisanz ist.
Deshalb hatte die Kulturfabrik den 80-minütigen Dokumentarfilm samt Regisseur Holger Lauinger und einen der Filmprotagonisten – Architekturkritiker Wolfgang Kil – in die Stadt geholt. Und dazu hatte die Kufa auch gleich noch alle eingeladen, die hier in Sachen Stadtplanung ein Wort mitzusprechen haben. Und sie kamen alle: Die Bürgermeister Skora und Delling, mehrere Planungs- und Architekturbüros, der Vorstandsvorsitzende der LebensRäume-Genossenschaft, der Verein «Stadtumbau und Bürgerbeteiligung/ SuBVersionen». (...)
«Die rasante Schrumpfung unserer Stadt führt dazu, dass viele Menschen sich verschließen, sich in sich kehren.» , beobachtet die Architektin Dorit Baumeister. Für Wolfgang Kil ist das Beschreiten neuer, unkonventioneller Wege gerade deshalb wichtig. «Solche Projekte sind gut – nämlich für die Menschen, die noch hier sind. Als ein Zeichen gegen Trostlosigkeit.»
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Johanna Gernentz (lern-netzwerk BĂĽrgerkompetenz)
Der Film ist ein wirklich sehr interessantes Angebot, sich dem Thema zu nähern und an der häufig vorhandenen Resignation ein wenig zu kratzen. Manchmal ist ja schon die Erkenntnis: "Ich bin nicht allein betroffen" erleichternd, kann ein verändertes Problembewusstsein schaffen und schließlich neue Denk- und Handlungsoptionen eröffnen. Der Film erscheint mir da besonders geeignet, da er ein viel sinnlicheres Erleben als x Fachvorträge bietet.
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Wolfgang Engler (Autor der Bücher ”Die Ostdeutschen als Avantgarde” und “Bürger, Ohne Arbeit”)
Ein Film ganz auf der Höhe der Herausforderungen. Ungeschminkt in der Problembeschreibung zeigt sich geradezu liebevoll um Auswege aus den Sackgassen der Wachstums- und Vollbeschäftigungsideologie bemüht. Experten wie Betroffenen urbaner Schrumpfung nachdrücklich empfohlen.