Wir könnten auch anders

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LAG Soziokultur Niedersachsen, kultur online Nr. 78, Juni 2014
Janneke Eggert, Ländliche Akademie Krummhörn e.V.

„Wir könnten auch anders“
Film und Diskussionsabend in der Krummhörn in der Reihe Feldkulturerbe

Ihre ländliche Umgebung hat die Ostfriesen seit jeher geprägt. Und schon immer gab es Veränderungen und Probleme mit denen die Menschen an der Küste lernen mussten umzugehen; seien es Sturmfluten, politische oder wirtschaftliche Umbrüche. Auch heute noch gibt es vielfältige Themen mit denen sich die Ostfriesen auseinander setzten müssen: gentechnisch veränderte Pflanzen, Umweltschutz, Klimawandel, aber auch demographischer Wandel oder die Abwanderung von jungen, gut ausgebildeten Menschen. So war es die Zielsetzung des Projektes dem Publikum kreative und innovative Möglichkeiten aufzuzeigen, mit denen es gelingt solchen Problemen zu begegnen. Dies geschah im Rahmen eines Filmabends mit anschließender Podiumsdiskussion. Der Film sollte hierbei als Inspiration für das eigene Wirken und Handeln, aber auch als Diskussionsgrundlage dienen.

Durch ein Angebot im Rahmen des Projekts „Feldkulturerbe“ der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur (LAGS) wurde die Projektleitung dann auf den Film „Wir könnten auch anders“, einen Dokumentarfilmessay, von Daniel Kunle und Holger Lauinger aufmerksam. Dieser ist ein Produkt der Sein im Schein Filmproduktion und wurde im Auftrag des ZDF/Das kleine Fernsehspiel 2012 in Deutschland gedreht. Darin stellen die beiden Filmemacher interessante Initiativen von Menschen im ländlichen Raum vor. Der Film zeigt wie Dorfbewohner sich einsetzen und engagieren, um ihr Leben auf dem Land lebenswerter und schöner zu gestalten.„Wir könnten auch anders“ regt zum Nachdenken an über Selbstbestimmung und Verantwortung in unserer Gesellschaft. Der Film ist mit einer Länge von 89 Min. sehr umfassend und bietet durch die vielen unterschiedlichen Projekte, die vorgestellt werden, ein breites Spektrum an Themen, die in einer Podiumsdiskussion weiter erörtert werden können.

SchlieĂźlich konnten die folgenden Personen fĂĽr eine Teilnahme gewonnen werden:
• Pastor Jürgen Sporré, der sich mit seiner Frau Marita Sporré das Pfarramt für die Gemeinden Loppersum und Canhusen teilt.
• Garrelt Agena, Besitzer und Betreiber des Biohofes Agena im Hagenpolder, der in der Nähe von Norden liegt.
• Hero-Georg Boomgaarden, der erste Vorsitzender der LAK und des Vereins „Anno Ostfriesland“, einer Gesellschaft zur Erhaltung ostfriesischer Kultur-und Baudenkmale.
• Christine Schmidt, die die Geschäftsführerin der LAK ist und schon vielfältige kulturelle Projekte in der Region realisiert hat.
• Und Dieter Hinrichs aus Oldenburg von der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur, kurz LAGS. Diese setzt sich für die Förderung der kulturellen Vielfalt in ganz Niedersachsen ein und positioniert sich auch zu aktuellen kulturpolitischen Fragestellungen.

Der Film „Wie könnten auch anders“ hat die Zuschauer gefesselt. Während der Vorführung sah man ausnahmslos gespannte und aufmerksam zusehende Gesichter und auch an der anschließenden Diskussion haben sich viele aus dem Publikum aktiv beteiligt.

Als positiv wurde allgemein die Vielfalt der Projekte und ihre sehr authentische Darstellung wahrgenommen. Sympathisch wirkte auf die Anwesenden auch die Art, wie den Personen im Film eine BĂĽhne geboten und auf ihre Probleme eingegangen wurde.

Teilweise gemeinsam mit dem Publikum wurde in der Podiumsdiskussion zunächst überlegt inwieweit es mit denen im Film vergleichbare Projekte in Ostfriesland gibt. Genannt wurden etwa der Nabu Woldenhof, die freie christliche Schule die durch einen Verein getragen wird, sowieso eine Waldorfschule in Aurich mit dem gleichen Konzept und der Loquader Asylkreis für Willkommenskultur und Integration.

So zeigte es sich, dass es in der Region Ostfriesland durchaus schon richtige Ansätze gibt, dennoch seien weitere private Initiativen speziell gegen den demographischen Wandel gefragt, so Aggena. Einig waren sich alle, dass der demographische Wandel im Moment das größte Problem Ostfrieslands ist.
Speziell in den kleinen Dörfern haben sich in den letzten Jahren jüngere Bewohner vor allem in den umliegenden, neuen Baugebieten angesiedelt. Dies führt langfristig zum Verlust des Dorflebens, da die älteren Menschen aus dem Ortskern sterben und ihre Häuser nicht mehr neu bewohnt werden. Dadurch verschlechtert sich die Infrastruktur und dies wirkt sich zusammen mit dem Verfall der alten Häuser negativ auf den Tourismus und allgemein auf die Attraktivität der Region aus.
Das Wohnen in alten Häusern muss demnach attraktiver gestaltet und trotz aller Schwierigkeiten eine Infrastruktur und ein kulturelles Angebot aufrechterhalten werden. Nur durch entsprechende Angebote für die Jugend, wie etwa die LAK sie bietet, sei es möglich eine Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte zu verhindern, meinte Herr Boomgaarden.

Doch abseits aller großen Probleme der Region gibt es auch viele kleine Dinge, für die oder gegen die es sich lohnt sich zu engagieren. Selbst wenn man Mitstreiter und Unterstützer hat, ist eins dagegen noch wichtiger: eine Idee. Hierbei ist jede Inspiration recht; so hat der Film „Wir könnten auch anders“ alle zum Nachdenken angeregt, wie anschließende Gespräche zeigten. Die Podiumsdiskussion hat geholfen ein Bewusstsein für die Probleme der Region zu schaffen und Ansätze zu ihrer Lösung zu entwickeln. In diesem Sinne ist „Wir könnten auch anders“ ein Film, der sicherlich auch für einen Filmabend in anderen ländlichen Regionen interessant ist.

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epd medien (3/2013)
Ulrike Steglich

„Wie viel ist genug?“ heißt ein neuer Essay der Briten Robert und Edward Skidelsky, den der SPIEGEL in seiner Jahresvorschau 2013 würdigt. Der Keynes-Biograf Robert Skidelsky stellt darin das Mantra unaufhörlichen Wachstums der Volkswirtschaften in Frage – Wachstum sei zum Selbstzweck, Konsum zum Fetisch geworden. Die Frage sei, wie eine Gesellschaft ihren erreichten Wohlstand nutzen kann, um ein sinnvolles, gemeinwohlorientiertes Leben zu führen.

Das erinnert an die Kernfrage, die sich bereits als roter Faden durch das gesamte Werk des russischen Dramatikers Anton Tschechow zog: „Wie soll man leben?“ Vater und Sohn Skidelsky geben darauf Antworten in den Disziplinen Politik, Ökonomie und Philosophie. Die Dokumentarfilmer Daniel Kunle und Holger Lauinger bieten – so gesehen – das Gegenstück der Praxis: Seit vielen Jahren erforschen sie den Alltag in jenen ostdeutschen Regionen, die seit 1990 das Gegenteil des Wachstumsparadigmas erlebten –Deindustrialisierung, demografische, ökonomische und infrastrukturelle Schrumpfung. Vor Ort untersuchen sie den Prozess dieses Gesellschaftsumbaus im Konkreten: Ist nur Wachstum der Garant für ein „gutes Leben“? Können sich in schrumpfenden Gesellschaften neue Chancen und Perspektiven eröffnen?

„Wir könnten auch anders“ ist der dritte Film der beiden Autoren, der sich den schrumpfenden Regionen widmet. Der erste, „Nicht mehr noch nicht“ (2004) erkundete die kulturellen Potenziale städtischer Brachen, der zweite, „Neuland“ (2007) erzählte von Menschen und Regionen, die zwischen Ab- und Umbruch den Aufbruch suchen. „Wir könnten auch anders“ stellt Menschen vor, die neue Wege gehen wollen, dabei aber oft genug auf den Widerstand bestehender politisch-ökonomischer oder bürokratischer Strukturen stoßen. „Wir könnten auch anders“ stellt damit auch auch „Das machen wir schon immer so“ oder „Das ist nun mal so“ in Frage.

Da gibt es den Verein „Wächterhaus Leipzig“: Warum müssen Wohnungen jahrelang leer stehen und verfallen, weil die Eigentümer glauben, nur teuer sanierte Wohnungen ließen sich vermieten, aber die Investition mangels solventer Mieter oder Käufer scheuen? Der Verein vermittelt nun unsanierte Wohnungen mit bezahlbaren Mieten an Zwischennutzer, Existenzgründer etwa, die die Häuser wieder beleben und in Schuss halten.
Petra Enders wiederum, eine Kommunalaktivistin in Großbreitenbach, fordert die aktive Teilhabe der Bürger ein, die traditionelle repräsentative Demokratie habe sich überlebt: „Wir wollen nicht nur alle vier Jahre wählen, sondern selbst gestalten.“ Die gegründete Wählergemeinschaft (zuerst eine Fraueninitiative) setzte einen Bürgerhaushalt durch, in dem alle mitentscheiden können – und hat bei Wahlen seit Jahren eine solide Zweidrittelmehrheit.

Da gründet ein Elternverein im ländlichen Raum eine Schule, sorgt damit für die Belebung der Region (um hernach die Amtsmitteilung zu bekommen, die Schule müsse „zum Wohl ihrer Kinder geschlossen werden“). Da werden Bürgerwindräder aufgestellt, in die die Anwohner investieren und so den Energieriesen die Stirn bieten können; man wehrt sich gegen Nazis; Flüchtlinge engagieren sich dafür, nicht mehr in Wohnheimen zusammengepfercht zu werden, sondern sich besser integrieren zu können, indem sie leerstehende Wohnungen beziehen dürfen. Man entdeckt das schöne alte Wort „Allmende“ wieder und damit den Wert des Gemeinguts, oder kämpft mit eigenem Saatgut gegen Monopole an. Andere kümmern sich um Kinder in schwierigen Verhältnissen in einem Plattenbaustadtteil. Die Bürgermeisterin von Briesensee wird von Polizisten mit Plastikfesseln fixiert und weggetragen: Sie wehrte sich dagegen, dass ihr Grundstück zwangsweise an ein großes Klärwerk angeschlossen werden soll, auf ihrem Grundstück betreibt sie stattdessen Wasserrecycling. Anders als das Klärwerk, habe sie nie Fördergelder beansprucht. „Fördergelder sind wie Freibier, die machen einfach besoffen.“

Kunle und Lauinger zeigen ein breites Panorama zivilgesellschaftlichen Engagements und unterschiedlicher Ansätze, unkonventionelle neue Wege zu gehen.
Manches ist einfach niederschmetternd, etwa, wenn eine junge Frau, die sich gegen Nazis engagiert, erzählt, was manche Lehrer ihren Schülern sagten: „Wenn ihr schlau seid, haut ihr von hier ab.“ Auch sie wird bald nach Stuttgart gehen.
Manches wird nicht stringent genug erzählt oder erklärt, und nicht jedes Beispiel überzeugt: jene Landkooperative etwa, die in der Frankreich, Österreich, der Schweiz Sitze hat, scheint kaum Bezug zur Region zu haben, sondern wirkt eher wie eine westdeutsche Alternativ-Kommune, die lediglich Freiräume für den Eigenbedarf nutzt.

Dennoch: Auch dieser dritte Film ist überaus sehenswert – weil er jenseits der großen Schlagzeilen eine Realität zeigt, die sonst selten fokussiert wird, und nach neuen Wegen sucht. Weil man Menschen erlebt wie den eigensinnigen Querkopf und Künstler Reinhard Zabka, der schon lange in dem Dorf Gantikow sein einzigartiges „Lügenmuseum“ betreibt und bemerkenswerte Sätze sagt, beispielsweise über den Staat und das Gemeinwesen. Oder einfach:„Man sollte voneinander wissen.“ Ein schlichter, kluger Satz, der einem lange nachgeht.

Die Stärke des Films liegt in solchen Sätzen, in prägnant herausgearbeiteten O-Tönen (Lauinger und Kunle enthalten sich jeden Kommentars), in Szenen, die für sich sprechen, und auch in den wunderbaren Bildern, die Daniel Kunles Kamera festhält: Sie romantisieren nicht. Sie zeigen Menschen in Landschaften von eigenwilliger Schönheit – und die Suche der Menschen nach einem neuen Verhältnis dazu.

Gerahmt wird das Geschehen von immer wieder montierten Nachrichtenmeldungen über Euro-Rettungsschirme, Kinderarmut, Rechtsterrorismus: Das offizielle Gegenstück der Realitäten. Ein hartes Kontrastprogramm des Kleinen und des Großen.

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Garten und Landschaft (12/2012)
Gesa Loschwitz-Himmel

Wir könnten auch anders: Film über eine Region im Umbruch
„Wir könnten auch anders“ ist ein Film über ziviles Engagement und die Hürden, die der Staat, der auf Wachstum ausgerichtet ist, diesem Engagement bewusst und unbewusst setzt. Im Verlauf der Reise entsteht ein Mosaik, das Ideen und Wirklichkeit zeigt und, dass es vor allem darum geht, die Dinge anders als man es gewohnt ist, zu sehen.
In Leipzig etwa gibt es die sogenannten Wächterhäuser. Die leerstehenden Häuser werden zum Beispiel von Künstlern gemietet, die dort ihre Ateliers haben. Die Organisatoren des Vereins Haushalten erzählen, dass es durchaus Überzeugungsarbeit braucht bis die Eigentümer begreifen, dass man ein Haus nicht unbedingt tip top renovieren muss, dass man es dennoch vermieten kann und es nicht leerstehen muss. Die Stadt Leipzig unterstützt die Wächterhäuser, sind sie doch oft Impulsgeber und Anstoß, dass ein Viertel in den Blickpunkt rückt und mehr Leute hinziehen wollen. Doch die meisten Ideen, die der Film vorstellt, stoßen auf mehr Widerstand: Die Bewohner von Lüchow etwa hatten sich zu einem Verein zusammengeschlossen und selber eine Schule gegründet, nachdem ihre geschlossen wurde. In Eigeninitiative haben sie geackert und gebaut und Lehrer eingestellt. Zuerst mit Genehmigung, doch die wurde letztendlich wieder zurückgezogen, die Schule „zum Wohle der Kinder“ geschlossen. Es wird klar, ohne dass es ausgesprochen wird: Diesen Regionen eine Chance zu geben, heißt, radikal umzudenken.
Es geht nicht darum, unendlich Fördergelder in den Osten Deutschlands zu pumpen, das machen alle Interviewpartner deutlich. Sie wollen keine Almosen, sondern eine „eigene lebenswerte Welt gestalten”. Und setzen auf ihre eigene Kraft. Das erfordert aber ein Ausbrechen aus den gewohnten Verwaltungs- und Förder-Mechanismen. In Großbreitenbach in Thüringen zum Beispiel gibt es seit Jahren einen Bürgerhaushalt, der auf Basis der Wünsche der Bürger aufgestellt wird. „Großbreitenbach 2000“ trat in den neunziger Jahren für die Wahl zum Stadtrat an mit dem Ziel, direkte Demokratie zu wagen. Inzwischen haben sie eine Zweidrittel-Mehrheit.
Viele Vorschläge im Film, wie ein Zugriff der Allgemeinheit auf Land im Sinne des Allmende-Gedankens, sind ebenso ungewohnt wie die direkte Demokratie. Aber das macht den Film so sehenswert: er fordert auf, sich mit Ungewohntem auseinanderzusetzen und gibt abseits von der Solidaritätszuschlagsdiskussion einen Einblick in die Lebenswirklichkeit von Regionen, die nicht mit den über Jahrzehnten im Westen Deutschlands erprobten Regeln und Normen funktionieren, die auf Wachstum basieren.

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Neue OsnabrĂĽcker Zeitung (21.12.2012)
Anne Diekhoff

Wachstum heißt das Zauberwort.Hauptsache, die Wirtschaft wächst, darüber sind sich alle einig. Alle? Nein. Denn sonst müssten die Menschen in den höchstens botanisch blühenden Landschaften Deutschlands verzweifeln.
Stattdessen begeben sich viele von ihnen auf die Suche nach Gegenentwürfen für ihre schrumpfende Gesellschaft. Wie die aussehen können, zeigen die Berliner Filmemacher Holger Lauinger und Daniel Kunle in einem liebevollen Mosaik aus Geschichten, Gesichtern und Bildern.
Da sind etwa die Eltern, die in Lüchow eine Schule gründen, damit der Ort lebendig bleibt – und deren Engagement von Behörden ausgebremst wird. Oder die jungen Leute, die sich in Leipzig für die Zwischennutzung der vielen leer stehenden Häuser einsetzen. Der Bürgermeister von Colditz, dessen Stadt mit Einnahmen aus Windenergie Kindergartenplätze finanziert, oder ein Verein, der sich um scheinbar chancenlose Kinder aus einem „vergessenen“ Viertel von Neustadt-Glewe kümmert: Dieser Film porträtiert die Menschen und ihre Projekte mit Respekt, Ruhe und in wunderschönen Bildern. Es vergisst sich im Westen leicht, dass nicht jeder am ewigen Wachstum teilhaben kann oder möchte. Hier kommt die Gelegenheit, den Horizont zu erweitern.

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Commonsblog (21. Dezember 2012)
Silke Helfrich

Zeitenwende: Wir können auch anders

Wie wir alle wissen, geht heute das Alte Denken unter. Zeitenwende. Die Ära die etwa 1622 begann ist zu Ende. Die Welt wird sich daran gewöhnen, dass sich neue Prinzipien durchsetzen. Neue Glaubenssätze. Glaubenssätze verändern zu wollen ist, als wolle man mit einem Nussknacker Diamanten knacken. Irgendwann wird man einsehen müssen, dass die Instrumente des Alten Denkens (die Nussknacker) nicht mehr taugen.
Stattdessen richten “viele Menschen, die anders denken und viele kleine Schritte tun” etwas aus. Im Auftrag der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel haben Holger Lauinger und Daniel Kunle von Schein im Sein diesen Menschen zugehört. Herausgekommen ist der Dokumentarfilm „Wir könnten auch anders“; ein vielstimmiges Mosaik über Lebenswirklichkeiten, Zivilengagement, Selbstorganisation, sozial-ökologische Projekte und Möglichkeiten der Teilhabe.  Ein Plädoyer für eine „Politik des Kleinen“ und für ein neues Narrativ.
Die Heldinnen und Helden des Films tun das was sie tun im Wesentlichen aus eigener Kraft.  Sie beschreiben das ganz authentisch:
“Fördergelder sind wie Freibier”, findet eine Protagonistin. “Sie machen einfach besoffen.”  Und “gescheite Leut’ narratieren gern”, resümiert der Gründer des Lügenmuseums im sächsischen Radebeul. Fast scheint es so, als gäbe es zwischen Narr und Narrativ einen etymologischen Zusammenhang. Es gibt ihn aber nicht. Diejenigen, die am Narrativ der Zukunft, der neuen großen Erzählung spinnen, sind alles andere als Narren. Sie stellen die Welt vom Kopf auf die Füße. Sie alle sind großartige Erzähler, und auch ich durfte – hoch über Jena – in die Kamera sprechen.
Ich kannte die anderen nicht und fand dennoch, dass die Sprache der Commons, mit der der Film sich dem Ende zuneigt, treffend zu fassen vermag, was sie denken, sagen und tun. Die Zeiten wenden.

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Bauwelt (47/2012)
Friederike Meyer

Drei Mal sind die Filmemacher Daniel Kunle und Holger Lauinger in den letzten zehn Jahren durch wachstumsfreie Regionen Deutschlands gereist. 2004 stellten sie mit ihrem Film „Nicht mehr noch nicht“ städtische Brachen als Möglichkeitsorte für Kultur dar, unter dem Titel „Neuland“ fassten sie 2007 ihre Erfahrungen in Gegenden zwischen Abbruch und Aufbruch zusammen (Heft 12.07). Jetzt erscheint „Wir könnten auch anders“, eine Auftragsproduktion für das kleine Fernsehspiel des ZDF.

Der Film zeigt, was passiert, wenn die politischen Strukturen zum Hindernis für Menschen werden, die sich für eine lebenswerte Zukunft in ihren Städten und Dörfern engagieren. Es geht um den Bürgerhaushalt von
Großbreitenbach, die Energiespargemeinde Zschadraß, den Elternverein der Landesschule Lüchow. Da filmt die Kamera zum Beispiel, wie sich die Bürgermeisterin von Briesensee, angekettet neben der Biokläranlage auf ihrem Grundstück, gegen den vom Landkreis angeordneten Klärwerk-Anschluss wehrt oder wie die Polizei ein Interview mit einem Gegner von genmanipuliertem Saatgut verhindert. Der Film lässt Menschen zu Wort kommen, die von Potenzialverschwendung sprechen und von Fördergeld, das wie Freibier wirke.
Parallel dazu ertönen die Nachrichten und offizielle Meldungen über die Aufstockung des Eurorettungsfonds, über den Verfassungsschutzbericht zum Rechtsterrorismus, über Kinderarmut. Krasser kann man die Realitäten in unserem Land kaum gegenschneiden.

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taz. die tageszeitung (17.12.2012)
Jens MĂĽller

Ein Denkmal für den Eigenbrötler
Die Dokumentation „Wir könnten auch anders“ (0.30 Uhr, ZDF) könnte Propaganda für den Osten sein. Die Regisseure sprechen lieber von „Empathie“.
Ein Mann mit Spitzbart sitzt im Schneidersitz, immer, es sei denn, er steht auf dem Kopf. Er sagt: „Die Welt steht kopf. Desillusionierung ist eine feine Sache.“
Die Bilder stehen in diesem Film auch immer wieder auf dem Kopf. Wo ist oben, wo ist unten? Die Bäume am Bachufer spiegeln sich im Wasser. Was ist Spiegelung, was ist echt? Mit Opel und Krupp geht es jetzt auch den Bach runter.
Der Film verspricht im Untertitel „Begegnungen jenseits des Wachstums“. Den Begriff „Wachstum“ darf man dabei nicht zu eng verstehen. Wachstum ist Metapher für alles, was derzeit so falsch läuft im Land. Wachstum ist industriell betriebene Landwirtschaft, ist Gentechnik, ist Kinderarmut, ist Altersarmut, ist fossile Energie. Wachstum ist Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung, ist Privatisierung von Staatseigentum bei gleichzeitiger staatlicher Bevormundung. Wachstum ist, dass es das bedingungslose Grundeinkommen noch nicht gibt.
„Wir könnten auch anders“ heißt der Film von Daniel Kunle und Holger Lauinger und zeigt exemplarisch Menschen, die bereits anders können. Oder konnten, bis ihnen „die Politik“ wieder Steine in den Weg gelegt hat. Da wird nämlich Privatinitiative gepredigt, aber die schöne, helle, private Landschule geschlossen, einfach so.
Propaganda klingt so negativ
Ein Politmagazinjournalist wäre nun ins zuständige Amt oder Ministerium gefahren und hätte sich das Statement der Gegenseite besorgt. Nicht so Kunle und Lauinger, denn, wie sie auf der Homepage ihrer Sein im Schein Filmproduktion unter der Überschrift „Einstellung“ schreiben: „Mit Empathie für Personen und Situationen versuchen wir Inhalten die passende Form zu geben.“ Man könnte auch sagen, sie hätten einen Propagandafilm gemacht. Aber das hätte gleich so einen negativen Beigeschmack.
Und außerdem, einmal lassen Kunle und Lauinger „die Politik“ dann doch zu Wort kommen. Da erklärt dann so ein „Krawatte passt doch auch zum Anorak“-Spießer, warum eine ältere Frau von Polizisten gefesselt und von ihrem Grundstück getragen werden muss: „Der Grundstücksanschluss, um den es geht, ist, technisch gesprochen, die leitungsmäßige Verbindung von einem Grundstücksanschluss, den Sie hier im Straßenland finden …“ Man sieht und hört: „Die Politik“ schreckt nicht vor brutaler Gewalt zurück gegen Menschen, die doch nur selbst entscheiden wollen, wohin mit ihrem Abwasser.
Kunle und Lauinger setzen den sozial und ökologisch bewussten Eigenbrötlern des Landes, seines östlichen Teils, ein Denkmal. Denn sie, Kunle und Lauinger, wissen, was sie tun. Kein Kommentar, stattdessen Nachrichtenschnipsel aus dem Off. Und Bilder, die suggestiver nicht sein könnten. Die Grillen zirpen und die Vögel zwitschern. Der Mann mit Spitzbart und Schneidersitz schärft seine Sense, während im Hintergrund eine dröhnende Landmaschine vorbeifährt, die in einer Minute mehr Arbeit verrichtet als der Mann an einem Tag. Das böse „Wachstum“.

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taz. die tageszeitung (20.02.2013)
Gina Bucher

Praxistest auf dem taz.lab
Erfindungsreichtum im Kino-Format
Im Kleinen die große Veränderung suchen: Der Film „Wir könnten auch anders“ schaut genau hin und zeigt Beispiele menschlicher Eigeninitiative.
Was muss passieren, damit Menschen Eigeninitiative ergreifen? Und: Wie viel Eigeninitiative seiner Bürger und Bürgerinnen verträgt ein Staat überhaupt? Mit solchen Fragen und einer Kamera sind die beiden Filmemacher Holger Lauinger und Daniel Kunle durch strukturschwache Regionen Deutschlands gereist.
Entstanden ist daraus der essayistische Dokumentarfilm „Wir könnten auch anders“, der Begegnungen jenseits des Wachstums zeigt. Von Menschen, die Projekte verschiedenster Art anschieben. Solche, die im Alltag womöglich klein erscheinen, die aber letztlich alle ihren Anspruch auf sozialökologischen Umbruch verfolgen.
Von Menschen, die sich für das bedingungslose Grundeinkommen engagieren, für ihr eigenes Abwassersystem, für mehr Mitsprache in der Kommune oder patentfreies Saatgut. Einige Protagonisten staunen dabei zunächst selber über die Widerstände, die sich ihnen da auftun.
„Über Gesellschaftsumbau wird seit den siebziger Jahren theoretisiert“, erklärt Lauinger, „was aber passiert tatsächlich vor Ort? Wer entscheidet dort, was wichtig ist?“ Dort, das ist zum Beispiel Lüchow. Im idyllischen mecklenburgischen Dorf hat ein Elternverein eine Landschule gegründet, gefördert mit Geldern durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds – einige Eltern sind extra für die Schule hergezogen.
Doch die Schule muss auf richterlichem Beschluss des Landes geschlossen bleiben, die Bürokratie beginnt sich selbst zu widersprechen. Bis auf Weiteres gehen die Kinder im vierzig Kilometer entfernten Rostock zur Schule. In einer anderen Episode hält Miloud L. Cherif eine mutige Ansprache an die Erfurter Bevölkerung über seinen Status als Flüchtling. Im Hintergrund laufen die Erfurter unbeeindruckt weiter.
„Wenn wir nach solchen Besuchen bei Leuten voller Elan im Auto die Radionachrichten hörten, dieser vermeintliche Gang der Dinge, war das reichlich absurd“, beschreibt Kunle die Parallelwelt, die sich den beiden auf ihrer filmischen Suche aufgetan hat und den trotzigen Titel „Wir könnten auch anders“ erklärt. Nicht alle Projekte haben ein Happy End – einige klappen, andere scheitern. Vor allem aber zeigen sie Widersprüche auf, und stellen sie, einer Hydra gleich, auf jede Frage zehn weitere, statt sie zu beantworten.
Was nicht heißt, dass der Film ernüchtert. Vielmehr ist er ein Angebot, darüber nachzudenken, wo eigentlich die Anfänge sein könnten, ja sein müssten - wenn es so nicht weitergehen kann. „Wir gehen mit unseren Filmen jeweils auf Reisen, um sie mit Publikum zu diskutieren“, erklärt Kunle das Prinzip ihres suchenden Plädoyers für die Politik im Kleinen. Lauinger ergänzt: „Das sind nicht Eigenbrötler, sondern jene, die in der Region Diskussionen veranstalten oder Zeitungen produzieren - dort, wo sich der Staat zurückzieht.“

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Oya (3/2013)
Mira Kretschmer

Begegnungen jenseits des Wachstums

Eine Reise durch den Osten Deutschlands: endlose, mit gigantischen Maschinen industriell bewirtschaftete Felder, lange Reihen leerstehender Häuser mit zugemauerten Fenstern, vergessene Stadtviertel. Wenn Wachstum eine Farbe hätte, hier wäre es grau.

Umso bunter sind die Menschen im Film „Wir könnten auch anders“, die auf ihre jeweils ganz persönliche Weise der immer weiter um sich greifenden Entmenschlichung entgegentreten. Sie gewähren Einblicke in Projekte, ihr Umfeld, ihre Träume. Ein paradiesisch anmutender Garten inmitten von Agrarwüste, eine mit Fördermitteln errichtete Schule, die auf Anordnung der Behörde wieder geschlossen wird, ein Lügenmuseum im Dienst der Wahrheit – es sind diese Gegensätze, die die Reise lebendig machen und den Zuschauern Schattenseiten und Absurditäten eines ausschließlich auf Effizienz zielenden Wachstums vor Augen führen.

Daniel Kunle und Holger Lauinger bezeichnen ihren Dokumentarfilm als suchendes Plädoyer für eine „neue Politik des Kleinen“. Ihre einfühlsamen Beispiele haben eine Inspirationskraft, die weit über den Osten Deutschlands hinausgeht.

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Ostsee-Zeitung (15. März 2013)
Karin Rogalska

Wenn den BĂĽrgern das Lachen vergeht
Stralsunder diskutierten mit dem Dokfilmer Lauinger

„Streitbare Dokumente“ nennt Holger Lauinger die Filme, die er seit einem Jahrzehnt mit Daniel Kunle dreht. Thematisch geht es um die „schwindende Arbeitsgesellschaft“. Im Anschluss an die Dreharbeiten reisen sie mit Vorliebe in entlegene Regionen, um dort ihre Filme vorzustellen und zu diskutieren.
Zuletzt schufen Kunle und Lauinger den Streifen „Wir könnten auch anders“, der im Dezember in der ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ ausgestrahlt wurde. Der dritte einer Reihe der beiden über die Situation in Ostdeutschland. In Stralsund diskutierte Lauinger auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung erstmals öffentlich über seine jüngste Produktion. Mit von der Partie waren Jürgen Suhr, Geschäftsführer der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen im Landtag, und Kerstin Thomas, für Bündnis90/Die Grünen in Schwerin Referentin bei der Enquete-Kommission „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“.

Die Dokumentation handelt von Menschen, die mit kleinen Aufbrüchen Großes bewirken wollen“. Dazu zählen ein Bürger, der Lügenmuseum eingerichtet hat, eine Bürgermeisterin, die sich einem öffentlichen Zwangsanschluss in ihrem Garten widersetzt, Streetworker, die Kinder in einem längst vergessenen Stadtviertel Mut machen wollen, oder Angehörige eines Vereins, der in leeren Häusern neues Leben erweckt. Bisweilen zahlt sich das Engagement aus, nicht selten scheitern die die Protagonisten. In zwei Monaten soll der Film, der mit dem Titel das Nachwende-Roadmovie von Detlef Buck zitiert, als DVD herauskommen. Lauinger bewegen auf der Suche nach neuen Impulsen für die Gesellschaft drei Themen: Haushalte, die von den Bürgern aufgestellt werden, ein bedingungsloses Grundeinkommen und die gemeinsame Suche nach dem, was die Menschen eint. Allzu optimistisch ist der Berliner nicht, dass sich die aus seiner Sicht zurzeit ausgesprochen schlechte Stimmung in absehbarer Zeit entscheidend bessert. Im Film werde das daran deutlich, das die Menschen kaum lachten.
Jürgen Suhr warnte davor, gerade in schlechten Zeiten zu hohe Erwartungen an die Politik zu haben. Zu oft erlebe er, dass Bürger davon ausgingen, dass „Politik alles richtet“.

Kerstin Thomas war wie fast alle der mehr als 30 Zuschauer tief beeindruckt von dem Film. Allerdings stellten die Autoren „einseitig die Grenzen politischer Handlungsfähigkeit“ dar, merkte sie an. Sie forderte das Publikum auf sich bei der Enquete-Kommission einzubringen. Schließlich tage das Gremium öffentlich.
Bei allen Debatten über die veränderten Alterstrukturen gehe es darum, „wie wir leben wollen“, so Kerstin Thomas. Sie kann dem dmografischen Wandel in MV trotz aller Herausforderungen viel Positives abgewinnen. Schließlich gehe er so schnell vonstatten, dass Mecklenburg-Vorpommern eine „Vorreiterrolle hat und eigene Akzente setzen kann“. Der demografische Wandel vollziehe sich in sehr vielfältiger Weise, betonte die Referentin. So gebe es große Unterschiede zwischen der relativ jungen Region Rostock und der deutlich überalterten Mecklenburgischen Seenplatte.

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Märkische Allgemeine Zeitung (17.12.2012)
Jan Sternberg

Wollen allein reicht nicht
In der ZDF-Dokumentation „Wir könnten auch anders“suchen Holger Lauinger und Daniel Kunle Aufbrüche in der Provinz
Eine Reise zu gescheiterten und hartnäckigen Träumen und Träumern im Osten

In Detlev Bucks Nachwende-Komödie „Wir können auch anders“ finden Joachim Król und Horst Krause im wilden Osten Abenteuer und die große Liebe. In der Dokumentation „Wir könnten auch anders“, die in der Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ im ZDF läuft, reisen die Filmemacher Holger Lauinger und Daniel Kunle ebenfalls durch den Osten. Was sie suchen, sind Aufbrüche, Alternativen zum Agrar- und Aggro-Kapitalismus.
Vor fünf Jahren sind Lauinger und Kunle schon einmal auf eine solche Reise gegangen. „Neuland“ hieß ihr komplett selbstfinanzierter Film. Es war der richtige Film zur richtigen Zeit. Er leistete eine Bestandsaufnahme Ostdeutschlands zwischen Abbruch und Aufbruch, stellte die Frage, was in Gegenden geschehen soll, die von der globalen Wirtschaftsentwicklung abgekoppelt wurden. Die Filmemacher besuchten Bison- und Schneckenzüchter, Landkommunen und Biogasbauern.

Auf ihrer zweiten, vom ZDF finanzierten Reise haben sich die Gewichte verschoben. Die Aufbrüche sind nicht mehr ganz so neu, viele sind gescheitert, haben sich verkämpft. Die Fragen aber sind geblieben. Die Krise auch. „Die Krise war, ist, und wird sein“, sagt ein Sozialarbeiter im mecklenburgischen Neustadt-Glewe, in einem Neubau-Block, wo König Hartz Hof hält. „Die Krise findet in den Leuten selber statt. Sie sind Wirtschaftsüberflüssige.“
Diejenigen, die den Aufbruch wagen, brechen oft kurz danach selber auf und gehen fort. Wie Linda Streich aus dem vorpommerschen Städtchen Demmin. Als Schülerin organisierte sie Gegendemos gegen Aufmärsche von Rechtsextremen. Nach ihrem Schulabschluss geht sie nach Stuttgart. „Das muss ohne mich weiterlaufen“, sagt sie.
Die Landschule Lüchow in Mecklenburg war ein Vorzeigeprojekt, von engagierten Eltern auf dem platten Land selbst organisiert. Fünf Einwohner hatte Lüchow noch, 40 wurden es, nachdem die Schule öffnete. Dann schlug die Bürokratie zu, Zweifel an der Qualifikation der Lehrer wurden geäußert, die Schule zwangsgeschlossen. „Unsere Eigeninitiative wurde gar nicht gewollt“, resümiert Gründer Johannes Liess im renovierten, leeren Schulgebäude.
Weiter geht es durch den Osten. Als Zwischenbilder wählen Lauinger und Kunle eine winterliche Kahnfahrt durch den Spreewald auf spiegelglattem Wasser. Die Bilder sind verkehrtherum montiert. Das Spiegelbild oben, die Realität unten. Kann so eine Umwertung funktionieren? In Leipzig schon. Organisierte Zwischennutzer bewahren die „Wächterhäuser“ vor Leerstand. Aufbruch aus Ruinen, in der Stadt geht das.
Und auf dem Land? Da blühen kleinere Träume. Dort fährt der Mähdrescher des LPG-Nachfolgers über sein riesiges Feld, während die Aussteiger im Gemüsegarten vom kleinbäuerlichen Paradies träumen. Und vom bedingungslosen Grundeinkommen. Susanne Wiest, die bei Greifswald auf dem Lande lebt, hat diese Idee bis in den Petitionsausschuss des Bundestages getragen. „Das jetzige System hält sich nicht mehr lange“, glaubt sie. Das politische System aber bügelt sie ab.
Eingerahmt wird der Film von Reinhard Zabka, der hier noch einmal vor seinem inzwischen geschlossenen Lügenmuseum in Gantikow bei Kyritz (Ostprignitz-Ruppin) sitzt. Er spricht davon, „Wut und Frust umzuformen“ in Energie. Zabka musste sein Gutshaus verlassen, hat aber in einem Gasthof im sächsischen Radebeul eine neue Heimat gefunden. Sein Traum immerhin lebt weiter.

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Nordkurier (15.07.2013)
Georg Wagner

Abseits des Wachstums blitzen hoffnungsvolle Streiflichter

Können im Schrumpfen einer Gesellschaft auch Chancen stecken? Diese Frage steht hinter einem Dokumentarfilm, der sich auch mit Menschen rund um Demmin beschäftigt.

Wenn in gut einem Monat auf Burg Klempenow wieder das Filmfestival „Der Neue Heimatfilm“ anläuft, dann wird zur Eröffnung ein Streifen voll scheinbarer Gegensätze zu sehen sein; 90 Minuten mit teils magisch wirkenden Bildern aus der Region, mit Episoden von Menschen, die sich nicht dem Zeitgeist von Wachstum und Konsum unterordnen; Sequenzen, die scheinbar kaum etwas mit einander zu tun haben, bildlich getrennt und zugleich zusammen gehalten von mal bewegtem, mal stillem Wasser. Auf der Burg zu sehen sein wird dann ein Dokumentarfilm, der jetzt schon im Lübecker Speicher in Demmin zu sehen war. Im Auftrag der ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ waren die Dokumentarfilmer Daniel Kunle und Holger Lauinger in den Jahren 2010 und 2011 in der Region und im Osten Deutschlands mit der Kamera unterwegs. Dabei ist der Film „Wir könnten auch anders“ entstanden. Ein Film, der die Probleme einer schrumpfenden Gesellschaft aufgreift und gerade in diesem Schrumpfen auch Chancen erkennen lässt wie etwa die Wächterhäuser des Vereins HausHalten. Dessen Tenor: Nicht immer muss gleich teuer saniert werden. Mit „Zwischennutzungen“ lässt sich ein Haus erhalten. Scheint der Leipziger Verein für das Publikum rund um Demmin noch weit entfernt, so kommt doch gerade dieses bei dem Film auf seine Kosten. Denn die Mehrzahl der einzelnen Geschichten entstand zwischen Peene und Recknitz, ihre Protagonisten sind hier ansässig; die Bewohner des Hofes Ulenkrug in Stubbendorf etwa, die mit ihrer Initiative „Longo Mai“ einen im Gegensatz zur immer technisierteren Landwirtschaft stehenden Lebensentwurf pflegen, oder die Schülerin, die sich im Aktionsbündnis 8. Mai den Aufmärschen der Neonazis in Demmin entgegenstellt. Die zurückgezogene Idylle des Künstlerehepaars Möne und Olaf Spillner in Hohenbüssow vor der gegensätzlichen Kulisse einer großflächigen Agrarlandschaft kommt darin ebenso zum Tragen wie die jährlichen Saatgutbörsen im Lübecker Speicher.

Dabei hält der Film selbst die Geschehnisse in seinen Bildern lediglich fest. Kommentiert werden sie durch einzelne eingeblendete Textpassagen, vor allem aber durch die oft nachdenklich stimmenden Zitate der gefilmten Menschen. Deren Auswahl ist kein Zufall. Der Film „Wir könnten auch anders“ baut auf früheren Dokumentarfilmen der beiden Filmemacher auf, die sie in ähnlichen Veranstaltungen wie der im Lübecker Speicher schon gezeigt haben. Menschen, die ihnen dabei in der anschließenden Diskussion auffallen, sprechen sie an, sagt Holger Lauinger. „Das ist eine Art Fortschreibung.“ So waren sie auch auf den Hof Ulenkrug gekommen. „Sie waren bei mehreren Veranstaltungen und wir haben dann gefragt, ob wir einmal kommen dürfen“, erzählt Holger Lauinger. Am Ende hatten sie die Collage einer Soziallandschaft, die neben vielfältigen Problemen vor allem eines zeigt: Perspektiven jenseits des Konjunkturdiktats.

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Servicestelle Agenda 21 (10/2013)

Ein Plädoyer für eine neue „Politik des Kleinen“

Wachstum ist der Garant für den Wohlstand unserer Gesellschaften. Diese bisher als Selbstverständlichkeit verinnerlichte Gewissheit gerät in jüngster Zeit angesichts des Klimawandels, der Ressourcenverknappung sowie der Zuspitzung sozialer Probleme ins wanken. In Regionen jenseits des Wachstums, die geprägt sind von Deindustrialisierung, von demografischer, ökonomischer und infrastruktureller Schrumpfung, stellt sich diese Frage jedoch nicht theoretisch, sie ist allgegenwärtig. Hier an der Nahtstelle des gesellschaftlichen Umbaus drängen sich die Fragen konkret auf: Kann es jenseits von Wachstum überhaupt ein gutes Leben geben? Eröffnen sich in schrumpfenden Gesellschafen neue Chancen, Perspektiven und Gestaltungsmöglichkeiten? Fragen, deren Antworten noch gefunden werden müssen.

„Wir könnten auch anders“ ist ein Film über ziviles Engagement, über Menschen, die neue Wege gehen wollen, dabei aber oft genug auf den Widerstand bestehender politisch-ökonomischer Strukturen sowie des Staates, der auf Wachstum ausgerichtet ist, stoßen. Der Film erzählt von Menschen, die Projekte verschiedenster Art anschieben. Solche, die im Alltag womöglich klein erscheinen, die aber letztlich alle ihren Anspruch auf sozialökologischen Umbruch verfolgen. Entstanden ist daraus ein essayistischer Dokumentarfilm, der Begegnungen jenseits des Wachstums zeigt. Es geht nicht darum, unendlich Fördergelder in den Osten Deutschlands zu pumpen, das machen alle Interviewpartner deutlich. Sie wollen keine Almosen, sondern eine „eigene lebenswerte Welt gestalten”. Sie setzen auf ihre eigene Kraft. Das erfordert zum einen ein Ausbrechen aus den gewohnten Verwaltungs- und Förder-Mechanismen, zum anderen, Dinge anders zu sehen als man es gewohnt ist.

Viele Vorschläge im Film, wie ein Zugriff der Allgemeinheit auf Land im Sinne des Allmende-Gedankens, sind ebenso ungewohnt wie die direkte Demokratie.
Der Film fordert auf, sich mit Ungewohntem auseinander zu setzen und gibt abseits von der Solidaritätszuschlagsdiskussion einen Einblick in die Lebenswirklichkeit von Regionen, die nicht mit den über Jahrzehnten im Westen Deutschlands erprobten Regeln und Normen funktionieren, die auf Wachstum basieren.

„Wir könnten auch anders“ ist der dritte Film der beiden Autoren. Der erste, „Nicht mehr noch nicht“ (2004) erkundete die kulturellen Potenziale städtischer Brachen, der zweite, „Neuland“ (2007) erzählte von Menschen und Regionen, die zwischen Ab- und Umbruch den Aufbruch suchen. „Wir könnten auch anders“ zeigt ein breites Panorama zivilgesellschaftlichen Engagements und unterschiedliche Ansätze, unkonventionelle neue Wege zu gehen. Engagierte Akteure präsentieren Ideen und Projekte, die der politischen Phantasie Flügel verleihen könnten.

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Zitty (2/2014)
Leon Sieske

Kinotipp: Wir könnten auch anders

Rund um Finanzkrise und Wachstum finden sich Experten, die von positiven Entwicklungen sprechen. Doch wem nutzen diese? Viele Menschen kommen trotz Eigeninitiative nur schwer voran. Holger Lauinger und Daniel Kunle haben einen Dokumentarfilm gedreht, der die Auswirkungen der Krise von einer neuen Perspektive aus betrachtet. Die Dokumentation, die vom Titel her nicht zufällig an Detlev Buckes Ostkomödie „Wir können auch anders erinnert“, führt den Zuschauer in ostdeutsche Orte, wo Menschen leben, die sich vom Westen vergessen fühlen. Sie sind Teil von Notstandsregionen, in denen sich Armut und Frustration widerspiegeln.
In Interviews mit Anwohnern, Lehrern oder Landwirten erlangt man tiefe Einblicke in die Folgen von Kulturwandel, Massenproduktion, erneuerbaren Energien und dem Schritt zur direkten Demokratie. Zwischen den Gesprächen wird dem Zuschauer die ländliche Idylle näher gebracht. Man versteht, weshalb die Menschen ihr Leben dort nicht aufgeben wollen.

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Permaculture.at
Cristian Mösbichler

Wachstumsgesellschaft? Wir könnten auch anders!

Diese Dokumentation zeigt die Auswirkungen der Wachstumsgesellschaft, oder auch der Globalisierung von Märkten, am Beispiel Deutschlands.

Im ersten geht es um Landstriche, bei denen es vorstellbar ist, dass dort bald niemand mehr wohnen wird und das Land nach und nach von der Agrarindustrie und ihrer industriellen Produktion übernommen wird. Neben der Agrarindustrie spielt die Dokumentation auch kurz auf die rechte Szene an, die gerade im Vakuum leergeräumter Landstriche eine Chance sieht und findet. Weitere Themen sind die Gesellschaft selbst, Migration und Immigration sowie die Thematik rund um die GVO`s - also gentechnisch veränderte Lebensmittel – oder wie der mann in dem Film meint: „Gentechnisch verschlechterte Organismen“. Die GVO-Propaganda funktioniere seiner Meinung nach drei Schritten „alles toll – nicht so schlimm – überall drinn“. Eine interessante Doku, die viele Eindrücke vermittelt und im letzten Drittel auch zeigt, dass es anders gehen könnt.

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Jenapolis (12/2012)
Arne Petrich

“Wir könnten auch anders” – der etwas andere Film über das Neue, das bereits wächst

Die Zeit zwischen Weihnachten und Sylvester ist eine Zeit zum Nachdenken, um zur Besinnung zu kommen, ja vielleicht sogar um neue Ideen zu spinnen, oder sogar einen Neuanfang zu wagen. Vor einigen Tagen lief der Dokumentarfilm „Wir könnten auch anders“ von Holger Lauinger und Daniel Kunle im ZDF. Und…viel Jena und Thüringen kommen im Film vor. Zeit zum Anschauen, die man sich einfach nehmen sollte:
Herausgekommen ist dabei ein vielstimmiges Mosaik über Lebenswirklichkeiten, Zivilengagement, Selbstorganisation, sozial-ökologische Projekte und Möglichkeiten der Teilhabe. Ein Plädoyer für eine „Politik des Kleinen“ und für ein neues Narrativ erzählt von Menschen. Eine Reise ins Jenseits des Wachstums. Regionen und Gesellschaft im Umbruch. Begegnungen mit Menschen, die Zukunft gestalten wollen. In eindrücklichen Bildern erzählt der essayistische Dokumentarfilm von vielen kleinen Aufbrüchen, die Großes bewirken wollen: Bürgermeister finanzieren mit Windrädern den Kindergarten. Eine Kooperative initiiert regionale Saatgutbörsen. Streetworker stärken Kinder in abseitigen Stadtquartieren. Ein Verein erweckt in leeren Häusern neues Leben. Engagierte Akteure präsentieren Ideen und Projekte, die der politischen Phantasie Flügel verleihen könnten: von Bürgerhaushalt bis Grundeinkommen und der Wiederkehr der Gemeingüter. Ein vielstimmiges Mosaik über Lebenswirklichkeiten in strukturschwachen Regionen, über Zivilengagement, Selbstorganisation und Möglichkeiten der Teilhabe. Ein Dokumentarfilm entlang der Grenzlinien eines sozial-ökologischen Gesellschaftsumbaus als suchendes Plädoyer für eine “Politik des Kleinen”.

Die Heldinnen und Helden des Films tun das was sie tun im Wesentlichen aus eigener Kraft. Sie beschreiben das ganz authentisch: “Fördergelder sind wie Freibier”, findet eine Protagonistin. “Sie machen einfach besoffen.” Und “gescheite Leut’ narratieren gern”, resümiert der Gründer des Lügenmuseums im sächsischen Radebeul. Fast scheint es so, als gäbe es zwischen Narr und Narrativeinen etymologischen Zusammenhang. Es gibt ihn aber nicht. Diejenigen, die am Narrativ der Zukunft, der neuen großen Erzählung spinnen, sind alles andere als Narren. Sie stellen die Welt vom Kopf auf die Füße.

Auch Jena kommt im Film vor, ganz speziell hier in Persona von Silke Helfrich, der Commonsexpertin. Sie meint: “Unser individuelles Wohlergehen ist auch immer vom Wohlergehen anderer abhängig…Commons entstehen überall da, wo diese Frage des gerechten Zugangs zu Ressourcen, der Teilhabe im nichtkommerziellen Interesse für eine nachhaltige Nutzung und Ressourcen zusammengehen… die Dinge in die eigenen Hände nehmen, weil die Menschen am Besten wissen, was für sie richtig ist… die Lösungen der Probleme vor Ort kann man nicht immer delegieren, weder an die Politik, noch an die Wirtschaft…man kann viele Dinge selber lösen jenseits von Markt und Staat…”